10 Top-Urteile aus 2020 für den Betriebsrat Quelle: Foto Dollar Club
Auch in diesem schwierigen Jahr 2020 haben die Gerichte mit einigen wichtigen Urteilen Schlagzeilen gemacht. Das Arbeitsgericht Emden mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gehört dazu. Genauso kürzlich das LAG Berlin-Brandenburg, das die virtuelle Betriebsratssitzung in ihre Grenzen weist. Diese 10 Urteile must du als Betriebsrat kennen. 1. Betriebsratssitzung kann trotz Corona als Präsenzsitzung stattfinden Arbeitgeber können Betriebsräte nicht zwingen, aus Gründen des Gesundheitsschutzes in Betrieben jetzt nur noch virtuelle Betriebsratssitzungen durchzuführen. Der neue § 129 BetrVG schafft eine zusätzliche Option für den Betriebsrat, aber keinen Anspruch für den Arbeitgeber. Für geheime Wahlen eignen sich virtuelle Sitzungen nämlich nicht – so das LAG Berlin Brandenburg. LAG Berlin-Brandenburg v. 24.8.2020 – 12 TaBVGa 1015/20 2. Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet Das Thema Arbeitszeiterfassung gewinnt gerade in Zeiten der Corona-Pandemie an Relevanz. Arbeitgeber müssen für eine verlässliche Arbeitszeiterfassung im Homeoffice und für die Kurzarbeitszeiten sorgen. Dazu verpflichtet zwar derzeit noch kein deutsches Arbeitsgesetz, aber der EuGH in einem bahnbrechenden Urteil vom 14.5.2019 (C-55/182019). Das Arbeitsgericht Emden sieht nun – auch ohne deutsches nationales Gesetz – die Arbeitgeber in der Pflicht zur Zeiterfassung. Viele Arbeitsrechtsexperten folgen dieser Linie. ArbG Emden 20.2.2020 – 2 Ca 94/19 3. Betriebsrat kann Einsicht in Gehaltslisten nicht erzwingen Übernimmt der Arbeitgeber selbst die Pflicht nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG), Anfragen der Arbeitnehmer zu Gehältern der Kollegen zu beantworten, hat der Betriebsrat weder ein Einsichts- noch ein Auswertungsrecht der Bruttoentgeltlisten. Anders ist es, wenn der Arbeitgeber die Beantwortung der Anfragen nicht übernimmt. Dann ist der Betriebsrat in das Verfahren eingebunden und kann Auskunft über die Gehälter verlangen. BAG 28.7.2020 – 1 ABR 6/19 4. Einladung zur Betriebsratssitzung nur durch Betriebsratsvorsitzenden Für fast jede Handlung des Betriebsrats ist ein wirksamer Betriebsratsbeschluss nötig. So auch für das Ausüben der Mitbestimmung. Ein solcher Beschluss kann nur auf einer Betriebsratssitzung gefasst werden, zu der der Betriebsratsvorsitzende oder dessen Stellvertreter mit Tagesordnung eingeladen hat. Ein einfaches Betriebsratsmitglied kann die Sitzung nicht einberufen. Beschlüsse sind unwirksam, wenn sie in derlei fehlerhaft einberufenen Betriebsratssitzungen gefasst werden. BAG 28.7.2020 – 1 ABR 5/19 5. Duldung von Überstunden geht nicht ohne Betriebsrat Bei Überstunden muss immer der Betriebsrat mitbestimmen, egal ob die Überstunden explizit vom Arbeitgeber angeordnet oder – was häufig vorkommt – nur geduldet werden. Doch wann liegt Duldung vor? Trifft der Arbeitgeber keine Gegenmaßnahmen gegen Überstunden, ist von deren Hinnahme und damit Duldung auszugehen. Ist der Betriebsrat damit nicht einverstanden, kann er nach § 23 BetrVG dagegen vorgehen und Unterlassung der Duldung verlangen. BAG 8.7.2020 – 1 ABR 18/19 6. Zum Inhalt der Anhörung des Betriebsrats bei Kündigungen Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat vor jeder Kündigung anhören und ihn umfassend über die Gründe der Kündigung unterrichten. Dabei braucht der Arbeitgeber allerdings weder Angaben zum Sonderkündigungsschutz des gekündigten Arbeitnehmers noch zur Kündigungserklärungsfrist zu machen. BAG 7.5.2020 – 2 AZR 678/19 7. Abmahnungen von Betriebsratsmitgliedern nicht in Personalakte Arbeitgeber dürfen Betriebsratsmitglieder rügen und ihnen auch Sanktionen androhen, wenn sie ihr Amt nicht pflichtgemäß ausüben. In die Personalakte gehören derlei Vorgänge keinesfalls. Denn es gibt einen Unterschied zwischen betriebsverfassungs- und arbeitsrechtlichen Pflichtverletzungen. Was mit der Amtsausübung als Betriebsrat zu tun hat, gehört niemals in die Personalakte. LAG Baden-Württemberg 3.7.2020 – 8 TaBV 3/19 8. Bezahlung von Betriebsratsmitgliedern Ein eigenes extra Gehalt gibt es für das Betriebsratsmandat bekanntlich nicht. Vielmehr wird das Gehalt der beruflichen Tätigkeit weitergezahlt. Entscheidend ist immer das Gehalt vergleichbarer Kollegen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Vergleichbarkeit ist die Amtsübernahme, nicht die Freistellung. Im Zweifel müssen Betriebsräte die Vergütungsdifferenz einfordern. BAG 22.1.2020 – 7 AZR 222/19 9. Tariflicher Mehrurlaub verfällt nicht automatisch Auf Betreiben des EuGH hat das BAG in einem Grundsatzurteil (19.2.2019 – 9 AZR 541/15) geklärt, dass der gesetzliche Urlaub erst nach Warnhinweis durch den Arbeitgeber verfallen kann. Doch was heißt das für den tariflichen Mehrurlaub? Hier gilt dasselbe: Auch der tariflich vereinbarte Mehr-Urlaub verfällt nicht mehr automatisch, sondern nur, wenn Arbeitgeber die Arbeitnehmer auf den drohenden Urlaubsverfall hinweisen. BAG 26.5.2020 – 9 AZR 259/19 10. Kündigung wegen rassistischer Beleidigung im Betriebsrat Betriebsräte dürfen sich streiten, aber auch im Betriebsratsgremium sind rassistische Äußerungen tabu: Wer als Betriebsratsmitglied in einer Sitzung einen Kollegen rassistisch beleidigt, riskiert die fristlose Kündigung. Das bestätigt nach drei Instanzen der Arbeitsgerichte nun auch das Bundesverfassungsgericht.
Darum geht es:
Der Beschwerdeführer war seit 13 Jahren bei einem Logistikunternehmen beschäftigt. Seit 2009 ist er auch Mitglied des Betriebsrats. Am 7.11.2017 betitelte er in einer kontrovers ablaufenden Betriebsratssitzung einen dunkelhäutigen Kollegen mit den Worten »Ugah, Ugah!«. Daraufhin sprach der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung wegen rassistischer Beleidigung aus. Das Betriebsratsgremium stimmte der Kündigung zu.Die Arbeitsgerichte hielten die Kündigung für rechtmäßig, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte, zumal der Kläger bereits wegen Beleidigung eines Kollegen abgemahnt worden war (»Wer den Affen macht, fliegt raus«, LAG Köln, 6.6.2019 - 4 Sa 18/19).Zuletzt wies das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Beschwerde des gekündigten Arbeitnehmers ab (BAG 23.10.2019 - 2 AZN 824/19). Dieser erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde. Er berief sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz – GG). Die Gerichte hätten seine Grundrechte gegenüber dem Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin nicht abgewogen. Man dürfe ihm keine rassistische Einstellung vorwerfen.
Das sagt das Gericht:
Die Verfassungsbeschwerde hatte jedoch keinen Erfolg. Die 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) stellte in einem Beschluss fest, die Entscheidungen der Arbeitsgerichte seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wonach die Äußerung eine menschenverachtende Diskriminierung darstellt, die sich nicht unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt.Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die arbeitsgerichtliche Bestätigung der Kündigung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Gerichte hätten zutreffend die konkrete Situation als maßgeblich angesehen, in der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe direkt mit nachgeahmten Affenlauten adressiert wird.Die Schlussfolgerung der Gerichte sei nicht zu beanstanden, dass aufgrund der Verbindung zu einem nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verpönten Merkmal keine nur derbe Beleidigung vorliege, sondern die Äußerung fundamental herabwürdigend sei, auch im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der sich gegen rassistische Diskriminierung wendet.
Meinungsfreiheit schützt keine Beleidigungen
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordert im Normalfall eine Abwägung zwischen drohenden Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre und der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit tritt aber zurück, wenn herabsetzende Äußerungen die Menschenwürde antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen.Das haben die Gerichte im Kündigungsschutzverfahren erkannt, so das BVerfG. Sie stützen sich auf §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG, in denen die verfassungsrechtlichen Wertungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots ihren Niederschlag finden. Sie begründen ausführlich, dass und warum es sich um menschenverachtende Diskriminierung handelt.Danach, so die Richter in Karlsruhe, wird die Menschenwürde angetastet, wenn eine Person nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird, und damit das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich normierte Recht auf Anerkennung als Gleiche unabhängig von der »Rasse« verletzt wird. Diese Wertung ist ebenso wie die im Rahmen der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geforderte Gesamtwürdigung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Hinweis für die Praxis
Der Fall zeigt, dass das Betriebsratsmandat nicht mit der Amtsimmunität von Politikern vergleichbar ist. Der Sonderkündigungsschutz dient dazu, das Betriebsratsamt vor unzulässigem Druck zu schützen. Er verhindert aber nicht, dass der Arbeitgeber rassistische Äußerungen eines Betriebsratsmitglieds zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine Straffreiheit wie für die Äußerungen von Abgeordneten im Parlament (§ 36 Strafgesetzbuch) gilt für Betriebsratsmitglieder und ihre Sitzungen nicht.
Quelle:
BVerfG (02.11.2020); Aktenzeichen 1 BvR 2727/19 BVerfG, Pressemitteilung Nr. 101/2020 vom 24. November 2020
BAG zur fehlerhaften Einladung zu einer Betriebsratssitzung
Ist die Ladung zu einer Betriebsratssitzung durch ein einfaches Betriebsratsmitglied möglich? Sind Beschlüsse in der Sitzung dann noch wirksam? Nein – sagt jetzt das BAG. Damit ist ein Beschluss, die Zustimmung zu einer Umgruppierung zu verweigern, wegen Formfehlern unwirksam. Immer wieder kommt es zu Problemen bei der Ausübung von Mitbestimmungsrechten, weil die zugrundeliegenden Betriebsratsbeschlüsse formfehlerhaft und damit unwirksam sind.
Das war der Fall
Der Arbeitgeber einer Niederlassung der Daimler AG benötigt für geplante Umgruppierungen die Zustimmung des Betriebsrats. Dieser verweigert die Zustimmung. Der Beschluss für diese Zustimmungsverweigerung erging allerdings auf einer Betriebsratssitzung, zu der – krankheitsbedingt - nicht der Betriebsratsvorsitzende eingeladen hat, sondern ein einfaches Betriebsratsmitglied. Der Stellvertreter des Vorsitzenden befand sich in Urlaub.Der Arbeitgeber führt die Umgruppierung trotz der Verweigerung durch, ohne gerichtliche Zustimmungsersetzung beantragt zu haben. Er hält den Beschluss für unwirksam und damit die Zustimmung für erteilt.
Das sagt das Gericht
Das Gericht gibt dem Betriebsrat hier nicht Recht. Seine Zustimmungsverweigerung war unwirksam. Daher konnte der Arbeitgeber ohne Zustimmungsersetzung die Umgruppierung vornehmen.
Ladung nur durch Vorsitzenden oder Stellvertreter
Das Problem bei der Zustimmungsverweigerung war, dass kein wirksamer Beschluss zugrunde lag. Es fehlte – so das BAG - an einer ordnungsgemäßen Einberufung der Betriebsratssitzung und Ladung hierzu (§ 29 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Nur der Betriebsratsvorsitzende oder dessen Stellvertreter können die Ladung vornehmen. Ein einfaches Mitglied kann eine Sitzung nicht einberufen.Die strengen Formvorschriften sollen eine ordnungsgemäße Arbeit des Betriebsrats gewährleisten. Könnte jedes Mitglied eine Sitzung einberufen und zu dieser einladen, besteht die Gefahr, dass eine strukturierte und damit zielorientierte Arbeit des Betriebsrats nicht mehr gewährleistet wäre. Vor allem § 29 III BetrVG zeige, dass den Verfahrensvorschriften in § 29 II 1, 3 BetrVG eine besondere Bedeutung zukomme. Danach kann grundsätzlich nicht das einzelne Mitglied die Einberufung einer Betriebsratssitzung erzwingen, sondern nur »ein Viertel der Mitglieder«, also ein an der Gesamtgröße des Betriebsrats orientiertes Quorum.
Keine Heilung
Das BAG prüft nicht, ob die Verfahrensverstöße nachträglich geheilt werden können. Denn eine solche Heilung käme nur in Betracht, wenn alle Betriebsratsmitglieder zu der entscheidenden Sitzung erschienen wären. Das war nicht der Fall. Anders als im Fall einer fehlenden oder fehlerhaften Tagesordnung reiche es nicht aus, dass nur die beschlussfähig Erschienenen einen einstimmigen Beschluss fassen. Für eine Heilung der fehlerhaften Ladung müsste der Betriebsrat bei der Sitzung vollzählig erschienen sein.
Das muss der Betriebsrat beachten
Wie wichtig das Einhalten der strengen Formvorschriften gerade für die Ausübung der Mitbestimmungsrechte ist, zeigt sich immer wieder. Formfehler können fatale Folgen haben. Immer bedarf es für das Ausüben der Mitbestimmung eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses. So auch bei der Zustimmungsverweigerung (§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Und ein solcher Beschluss kann nur auf einer ordnungsgemäß einberufenen Betriebsratssitzung ergehen. Und zu der kann nur der Vorsitzende oder dessen Stellvertreter einladen – niemand sonst.
Quelle
BAG (28.07.2020); Aktenzeichen 1 ABR 5/19
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